2. August 2011

Wie man den Entschluss fasst in ein Wohnmobil zu ziehen

Das war ja klar: wenn ich einmal ausschlafen kann, fällt bestimmt irgendeinem Trottel ein, ausgerechnet heute unbedingt an meiner Wohnungstür klingeln zu müssen, um seine Werbezettel in unsere Hausbriefkästen loszuwerden.
Verschlafen torkle ich zur Tür und betätige den Summer. Vielleicht ist es ja auch der Paketbote mit dem bestellten Buch, dann hätte sich das frühe Aufstehen gelohnt.
Ein Blick in den Spiegel verrät mir, dass es gestern Abend eindeutig zu spät geworden war, um heute frisch und strahlend vor einem frühen Besucher zu glänzen. Egal, der muss mich jetzt so ertragen, mit Schlaffalten, Strubbelfrisur und… hups, vielleicht sollte ich mir aber noch schnell etwas überwerfen, um meine Schlaffalten auf Bauch und Po zu verdecken.
Als ich die Tür öffne, streckt mir jedoch kein Paketbote mein ersehntes Buch entgegen, ich sehe mich zwei Herren gegenüber, die eindeutig nicht der Gattung Mensch angehören, die man morgens um 8:30 Uhr gerne zu einem Tässchen Tee einlädt. Nein, nicht die Zeugen des Jehova.
Ein dicker Briefumschlag wird mir in die Hand gedrückt, im Sichtfenster zwei kleine schwarze Plastiknippel erkennbar. Was ist das? Die Plastikdinger erinnern mich an mein Fahrrad. Da hab ich solche Verschlusskappen auf den Ventilen meiner Reifen. Was will man mir mit Verschlusskappen eines Rades morgens um 8:32 Uhr sagen? Ich hatte eindeutig zu wenig Schlaf letzte Nacht und blick immer noch nicht durch.
Der jüngere der Herren grinst mich an: “Falls Sie in den nächsten drei Tagen nicht bezahlen, wird Ihr Kfz sichergestellt und verkauft, um die ausstehenden Beträge zu begleichen.“
Ich schaue ihn völlig entgeistert an und kann nicht fassen, was ich da höre.
Das sind Gerichtsvollzieher! Und diese schwarzen Plastiknippel sind die Verschlusskappen meiner Autoreifen! Warum hat der mir nicht meinen Außenspiegel gebracht, den hätte ich wenigstens noch sinnvoll nutzen können. Was soll ich mit den Kappen?
Der Grinsende klärt auf: „Wir haben an Ihrem Kfz Krallen befestigt, die erst wieder entfernt werden, wenn Sie die ausstehenden Beträge bezahlt haben.“
Durch eine dunkle Nebelwand des Entsetzens dringt langsam Klarheit in mein verschlafenes Hirn. Die haben sich an meinem AUTO vergriffen! Die haben MEIN Auto lahmgelegt! Die haben mir MEINEN DICKEN gestohlen!
Ich schnappe nach Luft und mir entweicht lediglich ein hilfloses „Warum?“ und gleichzeitig ist mir selbst die Antwort schon klar. Nicht umsonst stapeln sich die Bußgeldbescheide auf der Ablage hinter der Tür, an der ich mich krampfhaft festhalte, um nicht den letzten Halt zu verlieren.
Nun wird mir lang und breit erklärt. Ich verstehe durch diese Nebelwand des Grauens nur Worte wie „Bußgelder“ und  „-zig Hundert Euro bezahlen“ und „Krallen am Auto“ und „Auto weg“ und stehe kurz vor einem Kollaps. Mir fallen all die Dinge ein, die ich in den nächsten drei Tagen erledigen müsste – mit dem Auto. Ganz zu schweigen von dem Urlaub danach.
Mein Auto ist nicht nur mein Auto, mein Fortbewegungsmittel, mein Transportmittel. Mein Auto ist ein Wohnmobil! Mein Wagen ist… mit einer Nabelschnur mit mir verbunden!
In drei Wochen wollte ich mit dem Mobil in den Urlaub fahren. Heute wollte ich mit dem Wagen einem Freund helfen. Morgen wollte ich…
Ich steh kurz vor einer Panikattacke und versuche den beiden Herren meine Situation zu erklären. Seit dem Einzug in diese Wohnung hier hab ich Parkplatzprobleme: mit der Wohnung einen Parkplatz im Hof gemietet, Wagen passt nicht durch die Einfahrt, vor dem Haus nur Parkraumbewirtschaftung, keine Behörde fühlt sich zuständig für meinen Antrag auf Anwohnerparkausweis – seitdem Parktickets ohne Ende.
Gerade hab ich den Wagen aus der Werkstatt abgeholt - mit einer Rechnung weit über 2.000,- Euro - und jetzt das!
Und dann dämmert mir: die haben auf mich gewartet! Drei Wochen stand das Auto in der Werkstatt, zwei Tage steht es seitdem wieder auf dem Parkplatz vor dem Haus. Und da haben die scheinbar ihre Chance gesehen.
Die beiden Herren machen sich auf den Weg die Treppe runter. Die interessiert meine Situation nicht im Geringsten. Ich könnt vor Wut und Enttäuschung heulen und rufe diesen Ignoranten hinterher, was ich von ihren Stasimethoden halte.
Keine Frage, war nicht sehr produktiv, aber sehr befreiend J
Was nun? Das einzige Bare, was ich noch habe, nachdem ich die horrende Rechnung der Kfz-Werkstatt bezahlt hatte, ist meine bescheidene Reisekasse für den anstehenden Urlaub. Nun muss die dran glauben.
Und natürlich sitzt später ausgerechnet einer der beiden Herren, die ich vorher so beschimpft hatte, im Büro der Stadtkasse, um nach meiner kleinlauten, aber echt gemeinten Entschuldigung meine Zahlung entgegenzunehmen. Was kann der für seinen miesen Job.
Er zeigt einiges Verständnis für meine Situation. Das hilft mir nicht viel weiter. Meine Reisekasse ist weg!

Ich habe die Schnauze voll von dieser Stadt. Dieses Parkplatzproblem seit einem Jahr, die Ignoranz der verschiedenen Ämter und der Arbeitskollegen.
Das Problem mit meinen Kollegen hatte ich, Gott sei gedankt, bereits einen Monat vorher lösen können, indem ich einfach kündigte. Das war nicht mehr auszuhalten gewesen. Da prallten Ideologien, Meinungen, Weltanschauungen, Prinzipien aufeinander, die in meinen Augen mit der sozialen Arbeit nicht mehr zu vereinbaren waren.

Nun sitze ich in meiner Wohnung und beheule den Zustand meiner Mittellosigkeit.
Ich analysiere meine Situation: keinen bezahlten Job, eine Wohnung an der Backe, die ich nicht mag und die ich mir auch nicht mehr leisten kann, einen Wagen vor der Tür, der inzwischen wieder von den Krallen der Obrigkeit befreit war, und den ich sehr mag und den ich mir gerade noch leisten kann.
Was spricht dagegen, das was ich ablehne einfach aus meinem Leben zu streichen und das was ich wollte zu realisieren? Nichts! Solange mir das Gerede der Leute nichts ausmacht, finde ich keinen Grund, der dagegen spricht, die Wohnung endlich loszuwerden und in mein Mobil zu ziehen. Und das Gerede der Leute hat mir noch nie etwas ausgemacht!
Na gut, die Wasserpumpen im Wohnmobil müssten nachgesehen und eventuell erneuert werden. Im letzten Winter hat der starke Frost bestimmt einiges beschädigt.
Und der Wohnungsvermieter müsste sich darauf einlassen, mich aus dem Zwei-Jahres-Mietvertrag zu entlassen, den ich bisher ja nur ein Jahr abgewohnt habe. Und irgendwie muss zukünftig auch Geld in die Haushaltskasse kommen. Und die Wohnung muss geräumt und gestrichen werden.
Also nichts, was ein wirkliches Hindernis für mich wäre J